Dunkelheit. Warum brauchen wir die Nacht?
- 11.11.2016
- Als 1994 die Erde bei Los Angeles bebte, waren die Menschen nicht nur beunruhigt wegen der Erderschütterungen und dem Stromausfall. – Tausende riefen die Polizei besorgt an, weil sich am nächtlichen Himmel eine riesige silbrig-weiße Wolke zeigte: die Sicht auf die Milchstraße. Die seit der Erfindung der Glühbirne immer verfügbare Helligkeit ist für uns Normalität geworden. In vielen Städten nimmt der Ausleuchtungsgrad des Himmels noch immer um etwa sechs Prozent pro Jahr zu. Bis heute steht Licht für Sicherheit, Wohlstand, Genuss, auch für Konsum. Aber es wird in der letzten Zeit auch von „Lichtverschmutzung“ gesprochen. Warum? Wir alle kennen die fliegenden Motten ins Licht, ahnen, dass grelles Licht das Verhalten der nachtaktiven Insekten empfindlich stört. Eine Milliarde Insekten lassen in einer durchschnittlichen Sommernacht in Deutschland dabei ihr Leben. Manchmal wirken starke Lichtquellen wie Staubsauger, die die Gegend herum ärmer an den Arten zurücklässt, deren Navigation besonders empfindlich ist. Die Artenzusammensetzung kann sich dann verändern. Ein weiteres Beispiel sind Amseln, die mitten in der Nacht zu singen beginnen. Normalerweise begrüßen die besonders „fitten“ Männchen die Dämmerung zuerst; sie sind beliebte Fortpflanzungspartner. Nun sind es möglicherweise die besonders verwirrten – ein Phänomen, das die Fitness der Art auf lange Sicht stören könnte. Aber was ist nun mit uns Menschen? Ist das Bedürfnis nach Licht und Dunkelheit im Tag-Nacht- Rhythmus eine reine Angewohnheit? Nein, denn unsere innere Uhr wird durch die „intrinsisch photosensitiven retinalen Ganglionzellen“ gestellt. Licht wird durch sie wahrgenommen und hemmt die Produktion des „Schlafhormons“ Melatonin. Der Tag-Nacht- Rhythmus des Menschen ist zwar nicht ausschließlich von der Melatoninproduktion abhängig, aber: Ein hoher Melatoninspiegel in der Nacht steht in einem positiven Zusammenhang mit Schlafqualität, Erinnern von gelernten Inhalten, der Ausschüttung von Wachstumshormonen bei Kindern, nach manchen (allerdings nicht unumstrittenen) Studien auch mit einer niedrigeren Anfälligkeit für Krebserkrankungen. Eine Sache sollten wir in diesem Zusammenhang im wahrsten Sinne des Wortes kritisch beleuchten. Die Melatoninproduktion wird vor allem durch kurzwelliges, „blaues“ Licht gehemmt, das unter anderem durch LED-Displays ausgestrahlt wird. Nun werden LED-Displays immer wichtiger – für die Freizeit, für soziale Kontakte, aber auch für das Lernen; Aktivitäten die oft abends stattfinden. In einer Studie hat man herausgefunden, dass Studierende, die abends an LED-Monitoren arbeiteten, zwar über eine höhere subjektive Aufmerksamkeit und eine angenehmere Lichtatmosphäre berichteten, aber zwei Stunden nach dem Lernexperiment einen signifikant niedrigeren Melatoninspiegel aufwiesen als Studierende einer Vergleichsgruppe. Auch schliefen sie schlechter und berichteten am Folgetag ein niedrigeres Wohlbefinden. Wir brauchen also die Dunkelheit, damit Melatonin produziert werden kann und wir gut schlafen können. Also: Schalten Sie einmal ab; vor allem auch das Display der Geräte der Kinder! Hier wäre allerdings fraglich, ob der dann stark gefährdete abendliche Hausfrieden überhaupt zur Nachtruhe führen wird.