Evolution des Geistes. Wie lässt sich menschliches Denken erklären?
- 11.11.2016
- Wie funktioniert menschliches Denken? Lange Zeit erstaunlich gut. Nach Jahrmillionen des unaufhaltsamen Aufstiegs gerät die Evolution jedoch ins Stocken. Es geht abwärts. Rapide. Die geistig Unbelasteten nehmen zusehends überhand. Seien es die Clownsmasken, die derzeit ihre Mitmenschen das Gruseln lehren, sei es in den USA, wo ein Gruselclown jetzt Präsident wird, sei es in den Kommentarforen des Internets, wo jeder die Zeitläufe kommentieren und ungestraft seiner ureigenen Melange aus Mitteilungsbedürfnis, Kenntnisarmut und Gedankenschwäche frönen kann, oder seien es die Globalisierungsverängstigten der Pegida, der beileibe überflüssigsten Bürgerbewegung seit Monty Pythons Judäischer Volksfront. Dass sich da geistig noch irgendwas entwickelt, kann man wahrlich nicht sagen. Wissenschaftlich geht es bei der Frage nach der Evolution des Geistes darum, warum wir uns ein so großes und energetisch kostspieliges Gehirn gönnen. Im Ruhezustand verschlingt es rund ein Viertel unserer Energie, während andere Primaten mit acht bis zehn, andere Säugetiere gar nur mit drei bis fünf Prozent auskommen. Da die Selektion das Nützliche begünstigt, ist die Frage: Was haben wir davon? Nicht nur leben einige Zeitgenossen ja eindrucksvoll vor, dass man auch ohne Gehirn ganz passabel leben kann, die Natur selbst zeigt ebenfalls, dass es anders geht: Die heranwachsende Seescheide sucht sich einen nahrungsreichen Ort am Meeresgrund, wird sesshaft, verzehrt ihr Gehirn und verbringt ihre Tage fortan mit Nahrungsaufnahme und Verdauung. Diese Laune der Evolution scheint merkwürdig, macht zuweilen aber neidisch: Wer zuhören muss, wie die Ewiggestrigen der AfD mal wieder irgendeinen völkischen Stuss aus dem Giftschrank der Geschichtsvergessenheit holen, der lernt eine Spezies schätzen, in der die Hirnlosen schweigend vor sich hin verdauen. Warum dann aber das große Gehirn? Hypothesen gibt es viele. Anstoß des Wachstums könnten die Anforderungen gewesen sein, die mit dem Aufkommen von Werkzeugen oder einer Nahrungsumstellung einhergingen: Fruchtfresser benötigten mehr Grips als Grasfresser, damit sie im Wald vor lauter Blättern ihr Essen fanden. Wahrscheinlicher ist, dass das Zusammenwachsen in komplexe Sozialverbände kommunikative Fähigkeiten und geistige Flexibilität verlangte und begünstigte. Pokémon-GO-Spieler und andere Soziallegastheniker aufgepasst: Ein Sozialleben bedeutete einen Überlebensvorteil für körperlich unterlegene Individuen, erforderte aber, dass man miteinander redete und sich auf andere einließ. Hätte es damals schon Smartphones gegeben, die Evolution des Geistes hätte vorzeitig ihr Ende gefunden. Was lernen wir daraus? Sozialer Zusammenhalt, Kommunikation und geistige Flexibilität haben uns überhaupt erst dahin gebracht, wo wir sind. Eine elementare Einsicht in einer Zeit, in der die Neandertaler der Gegenwart als selbsternannte Retter des Abendlands in Kategorien von ‚wir hier‘ versus ‚ihr dort‘ agitieren, Konfrontation statt Kommunikation suchen und in einer solchen Kurzsicht auf ihre Welt verkrusten, dass ihnen die geistige Flexibilität fehlt, kulturelle Vielfalt als Chance zu begreifen.