Angst und Belastungsstörungen. Was passiert in Extremsituationen?
- 11.11.2016
- In diesem Jahr wurden einige Fragen zum Thema Angst gestellt: Wie unterscheidet sich die Angst vor einer Spinne von der bei einem Amoklauf? Was passiert in Extremsituationen, wenn wir sie selber erleben oder in den Medien sehen? Ich möchte diese Fragen in drei Schritten beantworten: 1. Was ist Angst? Angst ist ein Gefühl der angespannten Besorgnis in Erwartung eines bedrohlichen Ereignisses. Wir zeigen erhöhte Aufmerksamkeit und reagieren schon auf geringste Reizveränderungen. Es kommt zu gesteigerter körperlicher Erregung (etwa Anstieg von Blutdruck und Muskelspannung). Angst hilft so, eine tatsächlich bedrohliche Situation frühzeitig zu erkennen und ggf. zu fliehen oder zu kämpfen. 2. Wann verliert Angst ihren Nutzen? Bei Angststörungen: So können die Auslöser der Besorgnis sehr zahlreich werden (generalisierte Angststörung) oder solche Reize lösen bereits Angst aus, die selber nicht bedrohlich sind, aber durch Lernprozesse mit einer Angst auslösenden Situation gekoppelt waren. So zeigt ein Patient, der eine schmerzhafte ärztliche Behandlung erfahren hat, gegebenenfalls schon im Wartezimmer Angst oder eine Person reagiert bereits bei dem Foto einer Spinne mit Blutdruckanstieg. Diese gelernten Reaktionen kommen dann als Angststörungen zum Tragen, wenn sie unseren Verhaltensradius stark einschränken. 3. Was passiert in Extremsituationen und wann kommt es zu Belastungsstörungen? Oder: Wie unterscheidet sich die Angstreaktion vor einer Spinne von der bei einem Amoklauf? In der Intensität und der Qualität. Der Amoklauf ist – wie auch sexuelle Übergriffe, körperliche Gewalt und Katastrophen − ein traumatisches Ereignis, also ein extremer Stressor, der die körperliche Unversehrtheit massiv bedroht und Todesgefahr beinhaltet. Dabei können wir selber betroffen sein − auch als Augenzeugen oder im Rahmen beruflicher Tätigkeit (etwa als Notfallhelfer). Aber auch, wenn sehr nahestehende Personen solche Situationen erleben, ist dies potenziell für uns traumatisch. Je nach Trauma entwickeln etwa 5 bis 50 Prozent der Exponierten eine posttraumatische Belastungsstörung (PTSD). Diese besteht vor allem in häufigem Wiedererleben des Traumas (etwa in Albträumen), im Vermeiden von Reizen, die mit dem Trauma verknüpft waren (zum Beispiel mit bestimmten Orten) und in erhöhter Erregbarkeit. Das PTSD-Risiko nimmt mit der Zahl der Traumata zu. Ein schützender Faktor ist soziale Unterstützung. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer, möglicherweise vermittelt über das Geschlechtshormon Östrogen. Laborstudien – auch die unserer Arbeitsgruppe – zeigen, dass gesunde Frauen gelernte Furcht dann nachhaltiger wieder verlernen, wenn sie hohe Östrogenspiegel haben, vor allem, wenn sie zuvor Stress ausgesetzt waren. Da Frauen im Verlauf des Monatszyklus immer wieder niedrige Östrogenspiegel haben und hormonelle Verhütung die natürlichen Spiegel unterdrückt, könnte dies zu der Risikoerhöhung bei Frauen beitragen. Kann es zu PTSD kommen, wenn wir die Ereignisse nur in den Medien sehen? In der Definition der PTSD ist die Rolle eines solchen „Medienrezipienten“ ausdrücklich ausgenommen. Auch ist die Datenlage bisher zu gering, um hier eine belastbare Aussage zu treffen.