Am eigenen Leib. Wie werden neue Medikamente getestet?
- Henning Allmers
- 13.11.2015
- Den gesetzlichen Rahmen legt das Arzneimittelgesetz von 1976, zuletzt 2009 geändert, fest. Es gibt auch eine Vielzahl europäischer Leitlinien, die im Zulassungsverfahren zu beachten sind. Voraussetzung für Arzneimittelprüfung am Menschen sind Ergebnisse aus pharmakologisch-toxikologischen Untersuchungen. Die klinische Prüfung eines Arzneimittels wird üblicherweise in vier Phasen unterteilt. In Phase-I-Studien wird ein Arzneistoff erstmals in wenigen Wochen laufenden Studien an 20 bis 80 gesunden Freiwilligen getestet. Es wird unter anderem untersucht, ob im Tierexperiment beobachtete Wirkungen auch beim Menschen zu sehen sind und ob weitere Effekte auftreten. Unerwünschte Wirkungen werden sorgfältig beobachtet, pharmakokinetische Parameter sowie Dosis-Wirkungs-Beziehungen analysiert. In Phase-II-Studien wird ein neuer Arzneistoff bei Patienten eingesetzt. Ziele sind Prüfung von Wirksamkeit und Verträglichkeit sowie Ermittlung von Dosis-Wirkungs-Beziehungen zur Optimierung der Dosierung. In den Phase-II-Studien werden pharmakokinetische Parameter am Patienten erhoben. Ziel der Phase III der klinischen Prüfung ist der Nachweis von Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der neuen Substanz. Dazu schließen die Studien mehrere 100 bis mehrere 1.000 Patienten ein. Meist laufen sie über einige Monate bis Jahre in mehreren Zentren und Ländern. Für die Zulassung eines Arzneimittels sind mindestens zwei voneinander unabhängige, kontrollierte klinische und positiv ausfallende Studien der Phase III nötig. Dann kann ein Antrag auf Zulassung des Arzneimittels gestellt werden. In den Industrieländern springen bei solchen Studien im Durchschnitt 40 bis 70 Prozent der Teilnehmer wieder ab. Jeder vorzeitig abbrechende Proband kostet die Pharmafirma viel Geld. In Indien zum Beispiel liegt die Quote der „Durchhalter“ bei weit über 90 Prozent. Nach zahlreichen Skandalen in Entwicklungsländern, die von der niederländischen Organisation Somo dokumentiert wurden, haben die Arzneimittelbehörden in Europa und den USA reagiert. Die Europäische Arzneimittelbehörde Emea hat seit 2006 ein eigenes Inspektionssystem aufgebaut, mit dem sie immer intensiver auch entsprechende Tests in Drittländern unter die Lupe nimmt. Auch die US-Arzneimittelbehörde FDA hat in Peking inzwischen ein Büro. Vor dem Indienbesuch der Kanzlerin legte die EU im August 2015 etwa 700 Zulassungen für Arzneimittel auf Eis. Grund sind gefälschte Studien der indischen Firma GVK Biosciences, auf deren Basis die Medikamente zugelassen wurden. Nach jüngstem Stand hat das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte insgesamt 46 Zulassungen aufgehoben. GVK Bio bestreitet bis heute, dass manipuliert wurde. Die von den internationalen Prüfern beanstandeten Elektrokardiogramme seien für die Studien nicht relevant gewesen. Damit habe man nur testen wollen, ob die Teilnehmer gesund seien, ehe sie das Unternehmen verließen.