Talente fördern. Sind Begabungsförderung und Inklusion ein Widerspruch?
- 13.11.2015
- Gerade Eltern mit besonders begabten Kindern sorgen sich, wie es ihren Kindern wohl gehen wird, wenn die Kinder einer Schulklasse sich noch stärker in ihrem Lernen unterscheiden werden. Bereits jetzt sehen viele ihre begabten Kinder oft nicht adäquat gefördert, weil hierfür Leistungsforderungen auf dem hohen Niveau der jeweiligen Begabungen nötig sind. Besonders begabt oder talentiert sind Kinder dann, wenn sie in einem oder mehreren Bereichen erheblich schneller, tiefer und intensiver lernen als andere Kinder. Oft zeigen sie deshalb sehr gute schulische Leistungen, manchmal aber auch nicht. Sogenannte Minderleister aus Langeweile zum Beispiel sind nicht selten. Oft werden besonders begabte Kinder in der Schule dadurch gefördert, dass sie mit zusätzlichem Stoff versorgt oder zur Teilnahme etwa an Schülerwettbewerben aufgefordert werden oder sie werden über die Möglichkeiten eines Frühstudiums informiert. Bei Maßnahmen dieser Art sprechen Experten von Enrichment (Anreicherung). Eine andere Möglichkeit der Förderung ist eine Beschleunigung innerhalb des Bildungsverlaufs zum Beispiel durch das Überspringen einer Klasse (Akzeleration). Das geschieht eher selten, wäre aber für manche Hochbegabte sehr wichtig. Problematisch ist es nämlich, wenn Begabte morgens dem Unterricht folgen müssen, obwohl sie den Stoff schon lange beherrschen. Die Aufforderung zur Inklusion bietet hier vielversprechende Chancen. Schließlich verlangt Inklusion das Ernstnehmen jedes einzelnen besonderen Förderbedarfs. Hierzu gehört auch der Förderbedarf besonders begabter Kinder. Inklusion ist im Kern somit auch eine Gerechtigkeitsfrage. Doch wie kann man allen Kindern gerecht werden? Nur durch eine individuellere Förderung aller Kinder. Ausgangspunkt dafür sind die spezifischen Bedürfnisse, Begabungen und Interessen jedes einzelnen Kindes. Das ist eine große Herausforderung, stellt es doch vieles infrage, was wir bisher gewöhnt sind. Schule ist bisher vornehmlich auf Gruppen und auf eine Vorstellung von Homogenität ausgerichtet, die es in Wahrheit so noch nie gab. Mit Einführung der Inklusion werden Diagnose- und Förderverfahren nötig, die dazu führen, dass alle Kinder ihre Fähigkeitspotenziale (Begabungen) möglichst optimal in Leistungen überführen können. Bewährt haben sich grundsätzlich die Gestaltung anregender Lernumgebungen mit unterschiedlichsten Materialien sowie die differenzierte Formulierung von Aufgaben, um die Bearbeitung auf unterschiedlichem Niveau und entlang unterschiedlicher Interessen zu ermöglichen sowie eine Erhöhung der aktiven Lernzeit, in der sich jedes einzelne Kind mit selbst gewählten Inhalten engagiert auseinandersetzen kann. Dafür benötigen Lehrkräfte Zeit und gute Fortbildungsangebote! Eines ist wichtig zu betonen: Heterogenität ernst nehmen, heißt ernst zu nehmen, dass Begabung und Behinderung sich nicht ausschließen und dass ein körperbehindertes Kind ebenso wie ein Kind mit sozial-emotionalem Förderbedarf durchaus auch besonders begabt sein kann.