"Mein Kampf" Brauchen wir eine "Lex Hitler"?
- FB 01 – Kultur- und Sozialwissenschaften
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien
- 13.11.2015
- Ende 2015 liefen die Urheberrechte an der Propagandaschrift „Mein Kampf“ 70 Jahre nach dem Tod Hitlers aus. Würde es sich um ein Buch wie jedes andere handeln, wäre jetzt der freie Nachdruck also für jeden möglich. „Adolf Hitler: Mein Kampf“ – zum zweiten Mal auf dem Weg in die Bestsellerlisten? Wohl kaum. Bisher hat der Freistaat Bayern als Inhaber der Urheberrechte jede Neuauflage juristisch verhindert. Gleichwohl ist das Buch selbst nicht verboten. Vor 1945 gedruckte Exemplare dürfen unter bestimmten Bedingungen gehandelt werden. „Mein Kampf“ findet sich in vielen privaten Bücherregalen, vor allem aber in zahlreichen Bibliotheken, wo der Text der Wissenschaft zur Verfügung steht. Und in der Tat handelt es sich um eine zentrale Quelle für die Analyse der NS-Ideologie und der Person Adolf Hitlers. Nur mit Mühe lesbar entlarvt das primitive, menschenverachtende, antisemitisch-rassistische Machwerk die Hybris der politischen Entwürfe des Autors, der damit in den 1920er Jahren an weitverbreiteten Ressentiments und Stimmungen andocken konnte. In der Frage, wie nun zu verfahren sei, lassen sich drei wesentliche Auffassungen identifizieren: Ein Argument verweist auf die ‚erwachsene‘ Demokratie in Deutschland und die Tatsache, dass „Mein Kampf“ schon jetzt praktisch für jeden zugänglich ist. Müssen wir also mit Neuauflagen leben lernen? Demgegenüber werden Forderungen nach einer Ausweitung der Schutzfrist formuliert, die auf ein fortgesetztes Verbot des Nachdrucks drängen; dies nicht zuletzt im Angesicht von Millionen Opfern des „Dritten Reiches“. Wäre das ein zu rechtfertigender Fall von Zensur? Differenzierter ist der Weg, den das Institut für Zeitgeschichte in München mit einer kritisch kommentierten Ausgabe beschreitet. Das rund 2.000 Seiten umfassende Werk ist jetzt im Handel, über den Katalog der Universitätsbibliothek Osnabrück ist es bereits nachgewiesen. Was wird also passieren? Rassisten und Neonazis werden – so wie schon jetzt – auf existierende Exemplare zugreifen und sich weiterhin, allerdings strafrechtlich relevant, aus dem Internet bedienen. Damit müssen wir uns als Gesellschaft auseinandersetzen. Die deutsche Justiz wird § 130 des Strafgesetzbuches (‚Volksverhetzung‘) nutzen, um jeden unveränderten oder in rechtes Gedankengut eingebetteten Nachdruck zu unterbinden. Das scheint ein probates Mittel gegen Geschäftemacherei. „Mein Kampf“ wird aber auch in einer wissenschaftlichen Edition vorliegen –und frei verkäuflich sein. Diese Edition wird von der Forschung, an Schulen, in der weiteren Bildungsarbeit genutzt werden und jedem Interessierten – auch als Eigentum – eine Grundlage für kritisches Nachdenken über Hitler und seine Ideologie bieten. Eine wissenschaftlich kommentierte Ausgabe erfüllt gerade nicht den Tatbestand der ‚Volksverhetzung‘. Sie beleidigt nicht die Opfer des „Dritten Reiches“. Sie ist eine lange überfällige Dekonstruktion.