Citizen Science. Wie können Bürger sich an der Forschung beteiligen?
- 14.11.2014
- Citizen Science – oder Bürgerwissenschaft – bezeichnet das Engagement von Bürgern in der Wissenschaft ohne feste Einbindung in formale Strukturen wie Hochschulen oder Forschungseinrichtungen. Bürgerwissenschaftler kann der klassische Privatgelehrte sein, der eine bestimmte, vielleicht nur lokal vorkommende, Raupenart genau untersucht; das kann die PC-Nutzerin sein, die im Projekt seti@home Rechenkapazität für die Suche nach Außerirdischen zur Verfügung stellt. Oder es geht um die Klassifikation von Galaxien oder Mustern der Proteinfaltung. Dafür ist eine umfangreiche apparative Ausstattung erforderlich. Dann ist es eher die Unterstützung eines in etablierten Wissenschaftsstrukturen verankerten Teams. Wissenschaftler im Wissenschaftssystem sind bestimmt durch Forschungsprogramme und Projektförderung. Ihr Ziel besteht, zumindest in der Grundlagenforschung, darin, das Wissen in dieser Disziplin im internationalen Zusammenhang weiterzutreiben – häufig auf sehr abstrakte Weise. Beispielsweise möchte die Physik in verschiedenen Phänomenen gemeinsame Grundkonzepte erkennen, reale Probleme werden reduziert. Dagegen können Bürgerwissenschaftler viel stärker interessengeleitet forschen. Sie können sich die Zeit nehmen, Prozesse oder Objekte gründlich und über eine längere Periode zu beobachten. Und sie können sich den Luxus leisten, die vor Ort interessanten Dinge zu untersuchen. Damit steckt in der Bürgerwissenschaft auch die Möglichkeit, den Abstand zwischen Wissenschaftsbetrieb und Öffentlichkeit zu reduzieren. Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze. So kann die Öffentlichkeit bei der Auswahl von Projektthemen beteiligt werden, wie es zum Beispiel der Präsident des Wuppertal Instituts, Prof. Dr. Uwe Schneidewind, im Rahmen der transformativen Wissenschaft vorschlägt, sozusagen eine Bürgerbeteiligung in der Definition der Wissenschaftsagenda. In Niedersachsen ist dies jüngst im Rahmen einer Ausschreibung zum Thema Nachhaltigkeit erfolgt. Umgekehrt kann die Wissenschaft Bürger in ihre Fragen einbinden, was insbesondere im Bereich der Umwelt- und Sozialwissenschaften häufig geschieht: Viele Personen tragen große Informationsmengen zusammen, zum Beispiel im Bereich der Bio und Umweltwissenschaften. Auch wenn es in der Bürgerwissenschaft nicht um internationalen Wissenschaftsfortschritt oder Prestige geht, nicht um berufliche Karrieren oder Verwertungswünsche der Industrie oder Nobelpreise, erfordert Wissenschaft immer Kontrolle und Qualitätssicherung der Ergebnisse. Bei der Einbindung von Bürgerwissenschaftlern in Projekte etablierter Wissenschaft erfolgt die Qualitätskontrolle durch die »Profis«. Für einen Bürgerwissenschaftler im Sinne eines Privatgelehrten dagegen ist diese Kontrolle wesentlich schwieriger und seine Arbeiten haben es, selbst wenn sie sehr gut sind, schwer, Eingang in das Wissenschaftssystem zu finden. Bürgerwissenschaft gemeinsam mit oder neben der etablierten Wissenschaft ist eine Herausforderung und Möglichkeit für das klassische Wissenschaftssystem. Ein im Wesentlichen öffentlich finanziertes Forschungssystem kann und darf nicht im Elfenbeinturm leben, sondern muss sich den Fragen der Öffentlichkeit stellen, Anforderungen der Gesellschaft bedienen und seine Arbeit erklären. Auch hier unterstützt die Idee der Bürgerwissenschaft.