"Es braust ein Ruf…" Warum spielte Musik im Ersten Weltkrieg eine so große Rolle?
- 14.11.2014
- Die Musik spielte im Ersten Weltkrieg keineswegs eine größere Rolle als zu Friedenszeiten, jedoch eine ganz andere. Mit Beginn des Krieges wurden ihre Betätigungsmöglichkeiten zunächst deutlich eingeschränkt. Weil die Männer scharenweise in den Krieg zogen, entschlossen sich viele Opernhäuser, Orchester und auch Musikschulen zunächst, ihre Häuser zu schließen. Aber nach wenigen Monaten nahmen sie ihren Betrieb wieder auf, denn das Publikum sehnte sich nach Konzert und Oper. Die Spielpläne veränderten sich deutlich. Die Veranstalter suchten Musik aus, die den Patriotismus unterstützte. Besonders viel wurde Beethoven gespielt, der als deutsch-nationale Ikone stilisiert wurde. Am Ende von Konzerten stimmte das Publikum spontan nationale Lieder an, vor allem das Deutschlandlied, die Nationalhymne »Heil dir im Siegerkranz«, und die »Wacht am Rhein«. Dieses gegen Frankreich gerichtete populäre Lied beginnt mit dem Text »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« und lautet im Kehrvers »Lieb Vaterland, magst ruhig sein« – es ist heute kaum noch bekannt. Auch die Operettenbühne bediente den Patriotismus in aggressiver Weise. Komponisten der feindlichen Länder, vor allem noch lebende, wurden aus den Spielplänen gestrichen. Allerdings protestierte die Presse gegen diese kriegsbedingten Veränderungen und verlangte eine Rückkehr zu normalen Vorkriegsverhältnissen. Eine neue Konzertform erhielt großen Auftrieb, die sogenannten Wohltätigkeitskonzerte. Allerorts wurden sie in unermesslicher Fülle veranstaltet, um Geld für jedweden kriegsunterstützenden Verband zu sammeln. Musiker komponierten in großer Zahl neue patriotische Werke für derartig ausgerichtete Konzerte. Mein Kollege Dietrich Helms hat allein an Kompositionen auf Paul von Hindenburg 168 Titel zusammengetragen. Komponisten und Verleger erwarteten davon wirtschaftlichen Erfolg und Renommee. Richard Strauss warf jenen Komponisten vor, sie nützten die Konjunktur und produzierten »unter dem Deckmantel des Patriotismus das dilettantischste Zeug«. Tatsächlich sind die allermeisten dieser Komponisten heute völlig unbekannt und die Werke kaum noch zu finden. Heute bekannte Komponisten der Zeit wie Strauss, Schönberg, Hindemith, Alban Berg und Anton Webern haben keine kriegsunterstützende Musik komponiert. Mittelbar lassen sich die Schrecken des Krieges in manchen ihrer Werke nachspüren. Es wird immer wieder vom großen Besuch der Konzerte gesprochen. Sie begleiteten das Kriegsgeschehen einerseits in patriotischem Sinne. Andererseits wurde Musik als ein »heilsames Gegengewicht« zum Krieg wahrgenommen, ihn besser zu ertragen und Trost und Kraft gegenüber den vielen Trauernachrichten zu gewinnen. Im Kriegseinsatz selbst gab es Militärmusik zu zeremoniellen Anlässen und zur Unterstützung des Marschierens. Die dort beschäftigten Musiker blieben von den Lebensgefahren an der Front verschont. Soldaten sangen häufig Heimatlieder, um die Illusion an ein friedliches Zuhause aufrechtzuerhalten und »den Riss zu verkleiden, der unsere Seele durchklafft«, wie ein Student in einem Feldpostbrief schrieb.