"Mama tomm neele" - Wie funktioniert der Spracherwerb bei Kindern?
- 14.11.2014
- Warum müssen Menschen ihre Sprache überhaupt lernen? Warum wird sie nicht vererbt – wie bei den Tieren? Schließlich müssen Frösche nicht das Quaken und Hunde nicht das Bellen lernen. Warum erlernen Kinder das Sprechen nicht einfach durch Nachahmung: Durch Vorsprechen eines Wortes oder eines Satzes könnte das Gehörte im Gehirn gespeichert werden? Die menschliche Sprache ist viel zu kompliziert, als dass sie durch reine Imitation erworben werden könnte. Es geht ja nicht allein um das Erlernen von Wörtern, sondern immer auch um Kommunikation, um das Sich-einem-andern-Mitteilen, um das Vermitteln von Bedeutungsinhalten. Kaum ein Satz wird in der gleichen Form wiederholt, ein Wort muss nicht nur als akustisches Signal eingeprägt, sondern auch in seiner Bedeutung verstanden werden und je nach dem, an welcher Stelle ein Wort in einem Satz steht, bekommt dieser eine andere Bedeutung. Auch innerhalb eines Wortes kann die Bedeutung wechseln, wenn der Akzent auf eine bestimmte Silbe gelegt wird. So können wir eine Verkehrsampel umfahren oder wir können sie umfahren. Sprache ist also nicht nur eine Produktion von Lauten, sondern ein komplexer und vielgestaltiger Prozess der Kommunikation. Sprache baut auf dem Handeln auf: Zuerst kommt das körperlich-sinnliche Erkunden einer Sache, dann erst erfolgt die sprachliche Begleitung. Das Kind spielt beispielsweise mit dem Ball, lässt ihn auf den Boden prellen. »Ball springt« sagt es, aber nicht bevor, sondern nachdem es sich mit ihm beschäftigt hat. Im Tun, im handelnden Umgang mit Gegenständen und Objekten entdeckt es die Sprache als nützliches Medium, als Werkzeug des Handelns. Durch das Handeln gewonnene Erfahrungen werden in Verbindung mit der Sprache zu Begriffen. Diese Begriffe ermöglichen dem Kind die innere Abbildung der Welt. Zeitliche Begriffe wie »langsam« und »schnell«, räumliche Begriffe wie »hoch« und »tief« erfährt das Kind in Bewegungshandlungen, die es in Raum und Zeit variiert. So erweitert es seinen Wortschatz und erwirbt die Voraussetzung für das Verständnis sprachlicher Klassifizierungen. Voraussetzung für den kindlichen Spracherwerb ist, dass abwechslungsreich, differenziert und freudig in der Umgebung von Kindern gesprochen, mit ihnen kommuniziert wird. Die wichtigsten Grundlagen ihrer Erstsprache eignen Kinder sich während der ersten drei Lebensjahre an. Bei den meisten Kindern verläuft der Spracherwerb ohne Komplikationen, sie sind mit etwa vier Jahren auch in der Lage, ihre Muttersprache weitgehend fehlerfrei zu gebrauchen. Alarmierend ist aber, dass 15 bis 20 Prozent der Kinder im vorschulischen Alter sprachauffällig sind. Wichtig ist es, die Freude des Kindes am Sprechen zu erhalten und Situationen aufzusuchen, in denen die sprachlichen Kompetenzen durch Anregungen spielerisch unterstützt werden können. Die soziale Umwelt spielt beim Spracherwerb eine wichtige Rolle. Eine Fernsehsendung – auch wenn darin noch so viel gesprochen wird – kann die sprachliche Entwicklung des Kindes nicht fördern. Sie ermöglicht keinen Dialog und verhindert beim Kind geradezu die Eigenaktivität. Babys können von Geburt an Tondauer, Tonintensität und Rhythmen unterscheiden. Sie können feine Unterschiede zwischen den Sprachlauten heraushören, sie haben das Potenzial, jede Sprache der Welt kennenzulernen. Mit großer Lust experimentieren sie mit ihrer Stimme, sie lallen und gurren, vokalisieren, kommunizieren mit Gesten und Bewegung. Wenn sie allerdings wüssten, wie kompliziert gerade die deutsche Sprache ist – sie würden gar nicht damit anfangen sie zu lernen.