Jakobsweg. Propaganda-Mythos eines Kreuzzuges?
- 15.11.2013
- Der Jakobsweg war und ist der bekannteste Pilgerweg – und zugleich der problematischste. In Santiago im Nordwesten Spaniens liegt nie und nimmer Jakobus, der Jünger und Apostel Jesu, begraben. Es gibt geschichtlich betrachtet authentische Apostelgräber, das Petrusgrab in Rom, auch das Matthiasgrab in Trier, doch das Jakobusgrab gehört nicht dazu. Das ist keine neue Erkenntnis. Schon Luther sagte: »Wer weiß, wen sie dort begraben haben. Nicht Jakobus. Vielleicht liegt ein Pferd oder ein Hund im Grab.« Die Anfänge des Jakobswegs liegen im 9. Jahrhundert, als ein ehrgeiziger Bischof von Santiago erklärte, bei ihm ruhe dieser Apostel. Bald schon traten Jakobus, das Grab und der Weg in den Dienst der Reconquista, der gewaltsamen »Zurückeroberung« Spaniens durch die römisch-katholischen Fürstentümer des Nordens. Hierzu muss man wissen: Seit dem 8. Jahrhundert war Spanien unter moslemischer Herrschaft. Arabische Stämme hatten Spanien erobert. Später übernahmen ebenfalls moslemische Berber die Herrschaft. Unter moslemischer Regentschaft wurden jedoch, dem Koran gemäß, Christen und Juden toleriert, und so entfaltete sich in Spanien eine für das Mittelalter einzigartige religiöse Kultur. Die drei Religionen kooperierten. Kunst und Wissenschaft kamen zu großer Blüte. Im Norden Spaniens gab es Fürstentümer, die weiterhin von christlichen Herrschern regiert wurden. Sie begannen im 8. Jahrhundert mit der Zurückdrängung der Moslems, der Mauren, der moros, wie man in Spanien sagte. Der Pilgerweg machte auf Spanien aufmerksam und brachte Menschen und Geld ins Land. Millionen Gläubige pilgerten im Zeichen der Muschel nach Santiago. Sie war das Abzeichen der Jakobspilger. Jakobus selbst wurde zum Schlachtenheiligen. Ihn rief man an, wenn man gegen die Moslems in den Kampf zog. Ihn hatte man als Statue dabei, wenn eine Schlacht anstand. Noch heute finden sich in spanischen Kirchen Bilder dieses blutrünstigen Jakobus, der hoch zu Ross mit seinem Schwert Moslems die Köpfe abschlägt. Die christlichen Spanier nannten ihn auch den Maurentöter. Dieser gewalttätige Heilige hatte nichts mehr mit Jakobus, dem Jünger Jesu, den Aposteln und Jesus selbst gemein. Die hübsche Muschel wurde zum Symbol hässlicher Gewalt in einem Kreuzzug neuer Art. Die Christen hatten Erfolg. 1492 war ganz Spanien wieder christlich. Auf ein Zeitalter relativer Toleranz folgte ein Zeitalter absoluter Intoleranz. Die Moslems waren vertrieben oder getötet. Die Juden wurden zwangsgetauft oder ebenfalls vertrieben oder getötet. Und was häufig vergessen wird: Auch gegen die spanischen Christen, die unter moslemischer Herrschaft gelebt und eigene, von Rom und seinem Papst unabhängige Formen des Christentums entwickelt hatten, ging man gewaltsam vor. Der Jakobskult und mit ihm der Jakobsweg gehören so gesehen zu den dunklen Kapiteln der Kirchengeschichte. Pilgern ist schön und gut, dient Gesundheit und Geist und fördert strukturschwache Regionen. Aber es muss nicht Jakobus sein. Es gibt Alternativen: der Franziskusweg von Florenz nach Rom über Assisi, der Weg von Loccum nach Volkenroda oder der neue Luther-Weg von Eisleben nach Wittenberg. Wenn es unbedingt Jakobus sein muss, sollte man sich zumindest der problematischen geschichtlichen Umstände bewusst sein, sie unterwegs bedenken und für ein friedliches Miteinander von Juden, Christen und Moslems heute eintreten.