Dem Humor auf der Spur. Wie erkennt das Gehirn Ironie?
- 15.11.2013
- Das ist ganz einfach. Falls ihr Gehirn es nicht erkannt hat: Das war Ironie. Hätte ich gesagt: Das muss ich nicht erklären, als NOZ-Leser sind sie wissenschaftlich eh immer gut informiert, wäre das womöglich Sarkasmus gewesen. Und wäre ich Zyniker, hätte ich beim Stichwort Gehirn darauf verwiesen, dass manche unserer Mitmenschen der lebende Beweis dafür sind, dass man auch ohne Gehirn nicht zwangsläufig stirbt. Bei der Ironie (griech.: eironeía, Vortäuschung) sagt der Sprecher das Gegenteil dessen, was er meint, vertraut aber darauf, dass der Hörer die geistige Reife besitzt, über das Gesagte nachzudenken, sich in ihn einzufühlen und so das Gemeinte zu erfassen. Daher auch die berechtigte Frage nach dem Gehirn. Man kann in diversen Privatsendern inzwischen zwar weitgehend gehirnfrei zum Supertalent avancieren, seine Frau tauschen oder als Bauer überhaupt erst eine suchen, Einfühlen und Nachdenken aber ist ohne Gehirn nach wie vor schwierig. Daher versteht auch so mancher Dschungelkönig ebenso wenig, dass er öffentlich vorgeführt wird, wie seine Zuschauer erkennen, dass sie sich für ein modernes mediales Gladiatorentum missbrauchen lassen, das seine Protagonisten coram publico intellektuell teert und federt. Hier von »Superstars« zu sprechen, ist keine Ironie, sondern Sarkasmus. Wird die Grenze vom Humorvollen zur Bitterkeit überschritten, wird die Ironie nämlich zum Sarkasmus: beißender, ins Fleisch (griech.: sarx, Fleisch) schneidender Spott, der Unzulänglichkeiten aufdecken soll. Ironie ist also ein Stilmittel, Sarkasmus eine Frage der damit verfolgten Absicht. Während der Sarkast gutgelaunt seinem Hang zu ironischen Bonmots frönen kann, spielt der Zyniker missmutig die beleidigende Leberwurst: Seine hündische Einstellung (griech.: kyon, Hund) ist keine Formulierungskunst, sondern Resignation, eine negative Geisteshaltung, die soziale Konventionen und die Gefühle anderer missachtet. Wer ein Gehirn hat, erkennt ihn daran, dass »sowieso« das einzige Wort ist, das er beherrscht: Sowieso ist alles schlecht, es geht sowieso nur um Macht und Geld und schließlich sowieso den Bach runter. Kurz: Ironie ist der Geschmacksverstärker unter den Stilmitteln, Sarkasmus in Anlehnung an Kurt Tucholsky »Humor, der die Geduld verloren hat« und Zynismus mit Oscar Wilde »die Kunst, die Dinge so zu sehen, wie sie sind, und nicht, wie sie sein sollten.« Zur Ausgangsfrage: Ironie zu erkennen erfordert nicht nur Sprachkompetenz, sondern auch das einfühlende Verstehen anderer (eine so genannte theory of mind). Das Sprachzentrum interpretiert die wörtliche Bedeutung, Teile des Frontallappens erfassen den sozialen und emotionalen Kontext und decken so empathisch Diskrepanzen zum Gesagten auf, während andere Teile vergangene Erfahrungen heranziehen, um diese Widersprüche pragmatisch aufzulösen und so die Lücke zwischen Gesagtem und Gemeintem zu schließen. Schließen muss nun auch ich, und ich tue es mit dem Meister des Sarkasmus, Johann Nepomuk Nestroy: »Wenn alle Stricke reißen, häng’ ich mich auf.«