Zungebrecher. Warum stolpern wir über den spitzen Stein?
- Christine Dimroth
- 23.11.2012
- Zungenbrecher sind Sätze, die darauf angelegt sind, unseren Artikulationsapparat zu überfordern. Wenn wir über den »spitzen Stein stolpern«, versprechen wir uns. Allerdings geschieht das leider auch bei einfacheren Sätzen ab und zu. Nehmen wir an, wir sehen einen jungen Mann mit einer Angelrute am Seeufer sitzen. Wenn wir jemandem über unsere Beobachtung berichten wollten, könnten wir zum Beispiel sagen: »Fischers Paul angelt junge Karpfen.« Das ist nicht schwer auszusprechen, aber damit das geschehen kann, muss unser Gehirn bestimmte Bewegungsbefehle an die Zunge, die Lippen usw. senden. Davor müssen eine Reihe weiterer Sprachplanungsprozesse stattfinden. In einem ersten Schritt verbinden wir die noch sehr abstrakten Teile der Nachricht mit bestimmten Funktionen (wie Subjekt, Prädikat, Objekt) und bringen sie in eine bestimmte Reihenfolge. Dann suchen wir in unserem Wortspeicher nach Einträgen, die das, was wir ausdrücken möchten, besonders gut treffen. Man schätzt, dass erwachsene Sprecher ca. 50.000 Wörter kennen. Wir produzieren zwei bis drei Wörter pro Sekunde und versprechen uns im Schnitt nur einmal pro 1000 Wörter – eine erstaunliche Leistung! Neben der Bedeutung müssen natürlich auch die grammatischen Formen stimmen, zum Beispiel die Wortarten. Dann werden die Wörter an den Satzkontext angepasst: »angelt« kongruiert mit dem Subjekt in der 3. Person Singular, »junge« kongruiert mit dem Substantiv »Karpfen« in den Eigenschaften Maskulinum, Akkusativ und Plural. Diese Formen, oder vielmehr ihre einzelnen Bestandteile, haben wir auch gespeichert und müssen sie in kürzester Zeit zusammensetzen. Erst dann können wir die entsprechenden lautlichen Repräsentationen abrufen und berechnen, welche artikulatorischen Bewegungen notwendig sind, um sie zu erzeugen. Während wir ein Wort aussprechen, sind wir unbewusst schon mit der Vorbereitung der folgenden Redeteile beschäftigt. Viele Teile unseres Sprachverarbeitungsapparates sind gleichzeitig aktiv. Wenn sie nun Strukturen zu verarbeiten haben, die einander stark ähneln und deshalb wohl auch nahe beieinander gespeichert sind, ist die Fehlerwahrscheinlichkeit besonders hoch. Genau das ist bei Zungenbrechern der Fall. Sie bringen ähnliche, aber eben nicht identische Lautkombinationen auf engstem Raum zusammen und zwingen uns, ständig zwischen ihnen hin- und herzuwechseln. Wenn wir die Situation am Seeufer mit »Fischers Fritz fischt frische Fische« beschreiben wollen, verlangen wir unserem Sprechapparat ab, immer abwechselnd »fi« und »fri« zu produzieren. Das mag noch gut gehen, solange wir uns an ein festes Muster der Form »A-B-A-B« halten können. Zungenbrecher schwenken aber oft plötzlich auf ein anderes Muster um. Spätestens dann kommen unsere Befehle an die Artikulationsorgane aus dem Takt und wir versprechen uns.