Warum glauben wir an Gott?
Werden wir im Alter frömmer?
- Arnulf von Scheliha
- 13.11.2009
- Zur Beantwortung der ersten Teilfrage seien vier Gedanken thesenartig vorgetragen. - Erstens: In philosophischer Perspektive begegnet uns der Gottesgedanke als unbedingter Grund der bedingten Vielfalt, in der wir leben. Die Gottesidee symbolisiert die notwendige Einheit von Denken und Sein, die wir stets voraussetzen, aber niemals erkennen können. Anders: In Bezug auf Gott vergewissern wir uns gedanklich der Stimmigkeit unseres Selbst, als das wir uns vorfinden, mit der Welt, die wir erkennen. - Zweitens: In ethischer Perspektive verbürgt der Gottesgedanke das Zusammenstimmen aller moralischen Handlungen. Denn dass alle Taten, die wir in guter Absicht ausführen, auch miteinander harmonieren und wirklich Gutes bewirken, haben wir als Akteure, weder als Einzelne noch als Kollektiv, nicht in der Hand. Bei der Überlegung, dass gute Taten nicht vergeblich oder sinnlos sein können, stoßen wir auf die Idee Gottes, der eine moralische Weltordnung stiftet, die wir vernünftigerweise wollen, aber eben selbst nicht garantieren können. - Drittens: In christlich-dogmatischer Perspektive sagen wir, dass Christen glauben, weil Gott uns diesen Glauben schenkt. Der Heilige Geist bewahrheitet das Evangelium im Herzen der Menschen, spricht das menschliche Leben gerecht und heiligt es. Den Glauben bezeichnen Christen als eine Gabe Gottes, weil wir ihn uns nicht erarbeiten oder verdienen können, sondern er uns gnädig zugewendet wird. - Viertens: In anthropologischer Perspektive haben der Kirchenvater Aurelius Augustinus und der Reformator Martin Luther klassische Antworten auf die Fragen »Warum glauben wir an Gott?« gegeben. Von Augustinus stammt das berühmte Wort »Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in dir.« Gott wird hier als Ziel des Glaubenslebens vorgestellt. Die hin und her gerissene Seele, die sich massiver Außensteuerung ausgesetzt sieht, kommt von allein nicht zu sich selbst, sondern findet Frieden in Gott, der sie vollendet. Das andere Zitat stammt von Martin Luther. » ›Einen Gott haben‹ heißt … nichts anderes, als ihm von Herzen vertrauen …; wie ich oft gesagt habe, dass allein das Vertrauen etwas sowohl zu Gott als zu einem Abgott macht. Ist … das Vertrauen recht, so ist auch dein Gott recht, und umgekehrt, wo das Vertrauen falsch und unrecht ist, da ist auch der rechte Gott nicht. … Woran du nun … dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott.« Gott gilt hier als Partner des menschlichen Vertrauens, als Grund aller Lebensgewissheit. Glaube ist ein existenziell notwendiger Akt, der von Gott her Selbst- und Weltgewissheit erwartet, die wir als Vertrauen leben. Freilich liegt in diesem Vertrauen das Risiko, das es enttäuscht werden kann. Der vermeinte Gott kann sich als Abgott entpuppen, weil er die Gewissheit, die ihm angetragen wurde, nicht hat stiften können. Insofern ist es für Luther entscheidend, im Vertrauensakt den ›richtigen‹ Gott zu treffen. Das ist für ihn der Gott Jesu Christi, der das menschliche Leben auch dann annimmt, wenn alle anderen Gewissheiten zerbrechen. Das Kreuz ist das Symbol für den Glauben an den Gott, der eine tragfähige Selbstund Weltgewissheit stiftet. Folgt man dieser Spur, drängt sich die in der zweiten Teilfrage liegende Suggestion auf, dass man im Alter deshalb frömmer wird, weil der Tod jede Lebensgewissheit erschüttert. Die These, dass ältere Menschen frömmer sind, legt sich also nahe. Für eine solche These spricht auch, dass an gottesdienstlichen Feiern eher ältere Menschen teilnehmen. Der neueste religionssoziologische Befund aber spricht dagegen. Er besagt, dass die ältere Generation nicht religiöser ist als die jüngere. Vielmehr lässt sich gerade bei den Jugendlichen eine höhere religiöse Intensität feststellen als bei den Anderen. Diese Verteilung wirkt sich aber nicht auf das Teilnahmeverhalten am religiösen Sozialleben aus, weil hier andere Faktoren (etwa die Belastung im Berufsleben, das Freizeitverhalten etc.) eine wichtige Rolle spielen. Das bedeutet: Es gibt keinen religiösen Bruch zwischen den Generationen. Vielmehrwird der Glaube an Gott besonders spürbar an allen entscheidenden Schnittstellen des Lebens, wie Geburt, Heirat, Tod und Lebenskrisen. Er wird wichtig bei den großen Lebensfragen, etwa nach Partnerschaft und Erziehung, oder bei der grundlegenden ethischen Orientierung. Der Befund kann den Eindruck, dass ältere Menschen frömmer sind, zwar erklären, aber nicht belegen. Vielmehr ist die mit dem christlichen Glauben an Gott verbundene Selbst- und Weltgewissheit als ein generationenübergreifendes Existenzial zu beschreiben, dass allerdings eine generationendifferenzierte Ausdrucksgestalt annimmt.