Ist unser freier Wille eine Illusion?
- 13.11.2009
- Wie könnte man auf den Gedanken verfallen, der freie Wille sei eine Illusion? Wenn es überhaupt eine unbezweifelbare Grunderfahrung des menschlichen Daseins gibt, dann die, dass wir uns zeitweise als rational abwägende Autoren unseres eigenen Tuns und insofern als frei erleben. Was könnte uns davon überzeugen, dass unsere Freiheit nur erlebt ist und ihr keine tatsächliche Freiheit entspricht? In der Philosophiegeschichte zum Beispiel wollte nicht jedem einleuchten, wie sich Freiheit mit der Allwissenheit Gottes vereinbaren lässt. Andererseits aber wurde Freiheit in diesem Zusammenhang immer wieder ausdrücklich postuliert, weil nur so die Allgütigkeit Gottes mit der Existenz von Übel zu vereinbaren war – das Übel als Preis für die Freiheit als höchstes Gut. Kurz: Philosophisch betrachtet steht es unentschieden. Wer unsere Selbstwahrnehmung zur Selbsttäuschung degradiert, der hat heutzutage aber nicht nur philosophische Überlegungen im Sinn. Neurowissenschaftler nehmen vermehrt Stellung zur Freiheitsproblematik, indem sie erklären, Freiheit sei mit wissenschaftlichen Überlegungen prinzipiell nicht zu vereinbaren. Als Belege werden Studien herangezogen, die zeigen sollen, dass unserem Tun deterministische neuronale Prozesse zugrunde liegen, dass das subjektive Erleben der Urheberschaft fallibel sein kann und dass vermeintlich selbst initiierte Handlungen unbewusst ausgelöst werden können. Unsere Unfreiheit lässt sich mit diesen Studien allerdings nicht nachweisen. Der Determinismus zum Beispiel wird vorausgesetzt, ist selbst aber nicht empirisch begründbar, weil empirische Daten nur statistische Korrelationen rechtfertigen, keine deterministischen Zusammenhänge. Da Experimente vereinfachen müssen, bestehen die untersuchten »Handlungen« zudem üblicherweise im Drücken einer Taste, während die Alltagshandlungen und -entscheidungen, an denen uns wirklich gelegen ist, experimentell unzugänglich sind. Und dass unser Urheberschaftserleben in aufwendigen Laborsituationen getäuscht werden kann, impliziert keineswegs, dass wir uns auch sonst permanent täuschen, wenn wir glauben, wir seien es, die etwas tun. Fazit: Hirnforscher sind nicht die ersten, die uns die Freiheit austreiben wollen, und sicherlich nicht die letzten, aber sie sind die ersten, die dabei den Anschein erwecken wollen, philosophische Spekulation durch wissenschaftliche Exaktheit ersetzt zu haben. Man sollte sich klar machen, dass das in der Freiheitsdebatte die eigentliche Illusion ist.