Ist die Bibel wahr? Bibelauslegung jenseits von Wortwörtlichkeit
und Beliebigkeit. Anmerkungen zu einem Dauerstreit
- 07.11.2008
- Spätestens zum nächsten Weihnachtsfest werden wir wieder in Spiegel, Stern oder Fokus lesen können, dass die Israeliten nicht aus Ägypten ausgezogen sind, Mose erst in der Überlieferung zu einem übermenschlichen Helden geworden ist, dass es kein Paradies gab, in dem ein erstes Menschenpaar gelebt hat, kurz, dass die großen Erzählungen der Bibel nicht wahr sind. Merkwürdig daran ist zunächst, dass damit nur Einsichten wiederholt werden, die in der universitären Bibelwissenschaft längst, zum Teil schon seit 200 Jahren, bekannt sind und dort nur noch selten für Aufregung sorgen. Auch die großen Kirchen haben diese Positionen Übernommen und offiziell bestätigt. Kein Katholik etwa muss annehmen, die Welt sei in sechs Tagen entstanden. Nur für Biblizisten oder Fundamentalisten stellt das ein ernstes Problem dar. Papst Benedikt XVI. hat diese Sicht der Bibel in seiner Ansprache vom 12. September 2008 zum Thema "Welt und Kultur" bei seinem Frankreichbesuch bekräftigt: Auch wenn die Kirchen mit der Bibel einen hohen Wahrheitsanspruch verbinden, so ist, wie der Papst sagt, "das Wort Gottes nie einfach schon in der reinen Wortwörtlichkeit des Textes da". Oft hilft schon genaues Lesen, um nicht Missverständnissen zu erliegen: Die besonders heiß umkämpften ersten Seiten der Bibel mit ihren so genannten Schöpfungsberichten reden gar nicht von einem ersten Menschenpaar namens Adam und Eva. Erst Kapitel später taucht der Eigenname "Adam" auf. Vorher ist im hebräischen Original vom ha-adam die Rede, das ist wörtlich Übersetzt "der Mensch", und von "seiner Frau". Kurz: Der Bibeltext erzählt keine Begebenheiten aus einem fernen Paradies, sondern betreibt -modern gesprochen- dichterische Anthropologie: Hier wird nachgedacht über das, was den Menschen als Wesen "zwischen Erde und Himmel" auszeichnet. Der Mensch ist ein "Erdling", wie die Bibel in einem Wortspiel mit der Bezeichnung ha-adam veranschaulicht. In seiner Materialität, seiner Stofflichkeit ist er ganz und gar nichts Besonderes. Aber er ist zugleich mehr, biblisch gesprochen: "ein beschnauftes Lebewesen", das tief geprägt ist vom ge-schenkten Leben, von der Gottbeziehung und von der Geschlechtlichkeit. In seiner Freiheit kann er zwischen gut und böse unterscheiden, muss das aber immer auch tun. So kann der Mensch fehlgehen. In seinen großen Möglichkeiten steckt das Zeug zu schlimmstem Unheil. Es ließen sich viele Beispiele anfführen. Immer geht es darum, ein Gespür zu entwickeln für die ganz eigene, manchmal sehr fremde, bisweilen sogar anstößige Art, in der die Bibel ihre Botschaft vermittelt. Was daraus folgt für die Sicht der Welt und das eigene Leben, steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt.