Individueller Kunstgeschmack. Was teuer ist, muss gut sein?
- 12.11.2021
- Die Frage verknüpft drei Begriffe, die sich nicht zwangsläufig bedingen: der (individuelle) Geschmack, der Preis und die Qualität. Es ist natürlich legitim, anhand eines Wertmaßes (Preis) einen Qualitätsnachweis abzuleiten. Doch die Gleichung „teuer = gut“ ist tückisch. Wir kennen das auch von Alltagsgegenständen: Ein T-Shirt für 50 Euro kann im selben Sweatshop gefertigt worden sein, wie zum Beispiel ein T-Shirt für 5 Euro? Und welches mir gefällt, ist oftmals unabhängig von Preis und Qualität. Was teuer ist, muss also nicht unbedingt gut sein, was mir gefällt, nicht unbedingt teuer sein. Bezogen auf die Kunst verhält es sich ähnlich: Der persönliche Geschmack ist sehr individuell. Er beantwortet letztlich die Frage: Welche Kunst würde ich mir ins Wohnzimmer hängen? Wenn man mit dieser Überlegung durch ein Museum geht, bleiben meist nur wenige Kunstwerke übrig. Trotzdem müssen wir zugeben, dass im Museum wesentlich mehr sehr gute Kunstwerke ausgestellt sind. Der persönliche Geschmack hat somit einen relativ begrenzten Radius. Der Preis eines Kunstwerkes ist hingegen für den Kunstmarkt ein wesentliches Kriterium. Hierbei geht es eher um die Frage, welches Kunstwerk ist eine gute Wertanlage? Welches Kunstwerk wird in Zukunft noch wertvoll oder noch wertvoller sein? Die Antwort liegt meist in der sicheren Anlage: zum Beispiel eindeutig klassifizierte Kunstwerke von etablierten Künstlerinnen und Künstlern. Dies kann qualitativ hochwertige Kunst einschließen, muss es aber nicht. Gleichzeitig kann andere sehr gute Kunst ausgeschlossen werden, die zum Beispiel schwer lagerbar, nicht sammelbar oder hoch spekulativ ist. Somit kann man behaupten, dass weder der persönliche Geschmack noch der Preis ein verlässliches Richtmaß für die Bewertung von guter Kunst ist. Woran kann man nun „gute Kunst“ messen? Oder einfacher: Was ist gute Kunst? Die Beantwortung dieser Frage beschäftigt die Kunstwelt seit der Antike, und die Antwort fällt in jeder Epoche und Kultur anders aus: In der griechischen Antike zum Beispiel zielte die Kunst auf die ideale Nachahmung des menschlichen Körpers. In der frühchristlichen Kunst wiederum wurde das naturnahe Abbild als eitel abgelehnt. Während der erste Kunsthistoriker Europas, Giorgio Vasari, die Kunst der Renaissance als qualitativ hochwertig lobte, bezeichnete er hingegen die Kunst des Mittelalters als wirr und barbarisch, als „gotico“. Wenn wir heute gotische Kathedralen betrachten, würden wir Vasari sicherlich nicht mehr zustimmen. Die Antwort auf die Frage, was qualitativ hochwertige Kunst ist, bleibt somit wechselhaft. Ich kann Ihnen heute nur meine persönliche Antwort anbieten: Gute Künstlerinnen und Künstler sind Seismographen. Sie machen etwas sichtbar, was in diesem Moment spürbar ist und uns alle ergreifen kann. Gute Kunst ist somit stets ein Spiegel ihrer Gesellschaft. Gute Kunst hinterlässt ihren Abdruck bei nachfolgenden Künstlergenerationen und wirkt in Gesellschaften nach. Sie erzählt etwas über ihre Zeit – aber auch über unser Menschsein – und kann dadurch über Jahrhunderte ihre Ausdruckskraft behaupten. Kunstfachleute versuchen diese einflussreichen Kunstwerke stets aufs Neue zu entdecken. Dabei fallen sie jedoch nicht selten dem Zeitgeschmack zum Opfer – siehe: Giorgio Vasari.