Regeneration von Fingern, Händen, Armen und Beinen. Warum klappt es beim Axolotl und nicht beim Menschen?
- Vanessa Disela
- 12.11.2021
- Stellen Sie sich vor, Sie verlieren einen Arm und können diesen innerhalb weniger Wochen wieder nachwachsen lassen. Was sich wie Science-Fiction für uns Menschen anhört, schafft der Axolotl mit Leichtigkeit. Der nach einem Aztekengott benannte Schwanzlurch kann seine Gliedmaßen und andere Gewebe nach deren Verlust narbenfrei regenerieren. Es wird gemutmaßt, dass der jugendliche Zustand, in dem der Axolotl zeit seines Lebens als Larve feststeckt, zu seinen regenerativen Fähigkeiten beiträgt. So sind auch viele Säugetiere wie etwa Mäuse, aber auch Menschen im frühen Stadium ihres Lebens, nämlich vor der Geburt, noch fähig, verletzte Gewebe nachwachsen zu lassen. Im Erwachsenenalter gehen diese Regenerationsfähigkeiten jedoch verloren. Die Regeneration von Gliedmaßen ist besonders herausfordernd und macht den Axolotl gerade deshalb für uns zum faszinierenden Mysterium. Gliedmaßen wie Arme und Beine sind vom Aufbau her sehr komplex und bestehen aus vielen verschiedenen Gewebe- und Zelltypen wie Knochen, Muskeln, Haut, Nerven, Drüsen sowie Blutgefäßen. Die Bildung all dieser Gewebe muss koordiniert werden, um zum Beispiel einen Arm in der richtigen Proportion neu zu bilden. Warum klappt das beim Axolotl und nicht beim Menschen? Wie beim Bau eines Hauses braucht die Bildung von Gliedmaßen sowohl Baumaterial als auch einen detaillierten Bauplan. Fehlt das eine oder das andere, kann meist nichts Nützliches entstehen. Der Bauplan für die Gliedmaßen des Axolotls wird in den Zellen des umliegenden Gewebes vermutet, in dem sich die Wunde befindet. Über Signalmoleküle informieren sie darüber, wo, welche und wie viele Zellen benötigt werden. Als Baumaterial benutzt der Axolotl Zellen, die in der Lage sind, sich zu vermehren und sich in die benötigten Zelltypen mit ihren unterschiedlichen Funktionen zu verwandeln. Im Axolotl wird die Bildung dieser sogenannten Vorläuferzellen durch eine Verletzung angeregt. Bei diesen Vorläuferzellen handelt es sich um Stammzellen, die ihren Ursprung in den verschiedenen Geweben der Gliedmaßen haben und nach ihrer Vermehrung wieder zu eben diesen Gewebszellen werden, aus denen sie hervorgegangen sind. Zum Beispiel bilden Muskelvorläuferzellen Muskeln und Knochenvorläuferzellen Knochen. Erwachsene Säugetiere wie wir Menschen sind nicht in der Lage (es mag Ausnahmen im Tierreich geben, von denen wir noch nichts wissen), große Mengen an Vorläuferzellen zu bilden, um diese als Baumaterial in neu wachsende Gewebe einzubauen. Ob schlichtweg die Zellen nicht in der Lage sind, sich zu teilen, oder der Bauplan, also die instruierenden Signalmoleküle bei uns Menschen fehlen, ist bisher nicht bekannt. Fluch und Segen zugleich ist auch, dass der Mensch nach großen Verletzungen Narben bildet. Eine Narbe ermöglicht schnell wieder mechanische Belastung. Leider lässt dieses steife Netzwerk aus Kollagenfasern wenig Spielraum für einen Wiederaufbau des Gewebes, sollen sich doch Zellen teilen, umherwandern und sich zu neuen Geweben verknüpfen. Wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen und Ärzte es schaffen, Narbenbildung zu verhindern und dadurch Vorläuferzellen zu ermöglichen, sich zu teilen und sich nach Bauplan zu verknüpfen, könnte es eines Tages möglich sein, dass auch der Mensch die Königsdisziplin der Regeneration, nämlich die Regeneration von Gliedmaßen, beherrscht. Bis dahin haben wir noch ganz schön viel vom Axolotl und anderen regenerierenden Tieren zu lernen.