An der Wurzel gepackt. Wie verschwindet das Mathe-Trauma?
- 12.11.2021
- Was ist eigentlich das Mathe-Trauma? Angst vor Mathematik? Das Gefühl, Mathematik nicht zu können, nicht zu verstehen? Mathematikangst wurde bereits in den 1960er-Jahren als Phänomen in der Psychologie beschrieben. Sobald Anspannung oder ein Angstgefühl beim Umgang mit Zahlen oder beim Lösen mathematischer Probleme aufkommen, spricht man von Mathematikangst. Diese Angst kann verbunden sein mit Emotionen wie Scham, Hilflosigkeit, Ärger oder Frustration. Wie bei vielen Ängsten kann der Körper Reaktionen zeigen: Man ist angespannt, der Herzschlag erhöht sich. Als Folgereaktion werden weitere mathematikbezogene Anforderungen möglichst gemieden und man kann den Teufelskreis schon erahnen, der in Gang geraten kann. Menschen, die Mathematik mögen, fragen sich vielleicht, ob das nicht alles Einbildung ist. Es ist doch eher surreal, vor Mathematik Angst zu haben – schließlich geht von Aufgaben wie „Wurzel aus 9“ keine Gefahr aus. Bildgebende Verfahren in der Hirnforschung konnten zeigen, dass es Mathematikangst wirklich zu geben scheint. Bei mathematikängstlichen Personen wurden Aktivitäten in der Amygdala sichtbar – das ist die Region des Gehirns, die mit Furcht in Verbindung gesetzt wird. Bei nicht-mathematikängstlichen Personen zeigen sich Aktivitäten im Bereich des Arbeitsgedächtnisses und in den Hirnregionen, die mit Problemlöseprozessen verbunden sind. Aber warum sprechen wir eigentlich vom Mathematiktrauma und nicht auch vom „Deutschtrauma“ oder vom „Biologietrauma“? Eine einfache Antwort wäre, dass Mathematik vermutlich das einzige Schulfach ist, bei dem man sich sogar öffentlich eingestehen kann, dass „man es damit noch nie so hatte“. Kann man sich die Mathematikangst also einreden oder einreden lassen? Eine Studie mit mathematikängstlichen weiblichen Lehrkräften zeigte, dass sich deren Angst offensichtlich vor allem auf Mädchen übertrug, genauso wie die Überzeugung, dass Jungen gut in Mathematik sind und Mädchen stattdessen gut im Lesen. Gerade bei Kindern in jungen Jahren zeigen sich diese Geschlechterunterschiede in der Mathematikleistung aber nicht. Eine andere Antwort auf die Frage, warum wir vom Mathematiktrauma sprechen, ist darin zu finden, dass Mathematik ein besonderes Fach ist. Mathematische Inhalte bauen systematisch aufeinander auf: Mengenverständnis, Addition, Multiplikation, Potenzrechnung, Exponentialfunktionen – um nur einen kleinen Ausschnitt aus der Mathematik zu nennen. Fehlt es am Verständnis einer der basalen Grundlagen, hier zum Beispiel dem Mengenverständnis, kann anschlussfähiges Weiterlernen schon nicht mehr funktionieren. Der „Säule“ fehlt das Fundament. Und je komplexer und umfassender die mathematischen Inhalte werden, desto größer werden die Lücken, wenn das eigentliche Verständnisproblem nicht frühzeitig erkannt wird. Die Frage der Leserin hatte aber einen wichtigen Zusatz: Wie bekommt man Lust aufs Rechnen? Suchen Sie sich mal irgendeine dreistellige Zahl – vielleicht 123. Jetzt nehmen Sie diese Zahl mal 7, dann mal 11 und dann mal 13. Zauberei? Probieren Sie das gern noch einmal mit ein paar anderen dreistelligen Zahlen. Wenn Sie der Zauberei auf den Grund gehen wollen, rechnen Sie doch einfach 7 mal 11 mal 13. Vermutlich kommen Sie dem Zauber so auf die Spur. Mathematik kann unglaublich viel Spaß machen – wichtig ist aber, dass frühzeitig erkannt wird, wenn sich irgendwo eine Lücke auftut, damit diese geschlossen werden kann, bevor zu viele Steine auf das wackelige Fundament geladen werden.