„Wir schaffen das!“ – Wie hat die Zuwanderung Deutschland verändert?
- FB 01 – Kultur- und Sozialwissenschaften
- Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien
- 13.11.2020
- Etwa 1,7 Millionen Menschen haben zwischen 2015 und 2019 in Deutschland einen Asylantrag gestellt. Ende August 2015 versprach Kanzlerin Angela Merkel: „Wir schaffen das!“ Die Fluchtzuwanderung hat in den letzten gut fünf Jahren Vieles verändert: in Kitas und Schulen, auf dem Arbeitsmarkt, in der lokalen Wirtschaft, bei Behörden, zivilgesellschaftlichen Initiativen und auch im Stadtbild. Exemplarisch möchte ich Sie dazu mit in die Osnabrücker Johannisstraße nehmen. Hier sind gleich drei wichtige Ankunfts- und Unterstützungsorte zu finden, das Café Mandela, die Flüchtlingshilfe Rosenplatz und die Caritas, in denen es für Geflüchtete Rechtsberatung, Nähcafés, Fahrradwerkstätten, Arbeits- und Bildungsberatung gibt – und die Begegnungsräume sind. Einige dieser Initiativen gab es auch schon vor 2015, sie vergrößerten sich jedoch, und aus humanitärer Unterstützung wurde teils politisches Engagement für sichere Fluchtwege. Auch für die in der Johannis- und Iburgerstraße ansässigen Moscheegemeinden gab es viel zu tun, und die Zusammensetzung der Gläubigen veränderte sich. Das Zusammenleben von ‚alteingesessenen‘ Menschen mit Migrationsgeschichte und ‚den Neuen‘ wurde und wird dort und andernorts neu austariert. Zwischen Johannisstraße und Universität befindet sich die Drei-Religionen Grundschule, eine Schule in bischöflicher Trägerschaft mit interreligiösem Konzept. In allen Klassen sind zwei bis vier, oft auch mehr geflüchtete Kinder. Sie gehören ganz normal dazu und zählen teils zu den Klassenbesten. In der ersten Zeit nach 2015 kamen viele dieser Kinder ohne Deutschkenntnisse, mittlerweile unterscheide sich die deutsche Sprachkompetenz durch den Kindergartenbesuch nicht mehr von der, anderer Kinder, berichtet die Schulleiterin. Apropos Kinder: Manch‘ einer wundert sich angesichts geschlossener Fluchtrouten über die immer noch beachtliche Zahl an Asylanträgen in Deutschland. Etwa zehn Prozent aller Schutzsuchenden sind mittlerweile in Deutschland geborene Kinder, für die nicht automatisch der Schutzstatus der Eltern gilt, sondern für die ein eigener Asylantrag gestellt werden muss. Auch die ‚ethnische Ökonomie‘ Osnabrücks verändert sich durch die Fluchtzuwanderung. In der Johannisstraße sind u.a. die Änderungsschneiderei Damaskus, zwei syrische Konditoreien, arabische und afrikanische Lebensmittelläden und Restaurants hinzugekommen. Laut Statistischem Landesamt stehen in Osnabrück-Stadt die Gründerinnen und Gründer syrischer Staatangehörigkeit mit 37 Gründungen von Einzelunternehmen im Jahr 2019 sogar auf Platz eins der Nicht-Deutschen. In Niedersachsen stehen sie nach Staatsangehörigen aus Polen, Rumänien und der Türkei an vierter Stelle. Einige waren vor der Flucht schon selbständig, andere fassen aus verschiedenen Gründen auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht Fuß. Auch sind Existenzgründungen für Geflüchtete nicht einfach. Eine kurdische syrische Geschäftsführerin eines gehobenen Lokals berichtet von der Zeit, in der sie alle drei Monate ihre Duldung verlängern lassen musste und selbst im Familienbetrieb nicht mitarbeiten durfte. Aktuell gefährdet die Corona-Pandemie Gründerinnen und Gründer, die Mieten müssen weitergezahlt werden und der Teil der Kundschaft mit Fluchthintergrund hat überproportional mit der Pandemie seine Arbeit verloren. Einige der Veränderungen sind auch nicht auf die letzten fünf Jahre eingrenzbar, haben aber doch damit zu tun. So kam der syrische Inhaber eines jüngst eröffneten Lokals in der Johannisstraße bereits vor 25 Jahren nach Deutschland. Es ist nicht sein erstes Restaurant – „vorher habe ich griechische Küche gemacht. Syrisches Essen lief noch nicht.“