Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Darf man straflos lügen?
- 15.11.2019
- Die Frage ist schwierig, wenn es um Moral, aber einfach, wenn es um Recht geht. Recht ist, was der Staat mit seiner Staatsgewalt durchsetzt. Die Frage ist also, bei welchen Lügen der Staat mit seinen harten Instrumenten, wie Schadensersatz oder Strafe eingreift. Wenn Donald Trump sagt, dass sein Vater in Deutschland geboren wurde, sind das rechtlich folgenlose Fake News. Wenn aber Karl May sagt: „Old Shatterhand, das war ich“, muss er Schadensersatz zahlen und wird wegen Betruges bestraft. Wenn ein angeklagter Mörder seine Tat leugnet, ist das nicht verboten. Was ist der Unterschied? Die gute Nachricht ist: Lügen ist grundsätzlich erlaubt. Geschützt ist auch die Freiheit zu lügen. Der freiheitliche Staat kontrolliert nicht, ob sich Bürger oder Politiker moralisch verhalten. Von dieser Regel gibt es aber Ausnahmen. Verboten sind Lügen, wenn sie ein rechtlich geschütztes Gut schädigen. Die drei wichtigsten gegen Lüge geschützten Güter sind: (1) Das Vermögen. Karl Mays Lüge gefährdet das Vermögen seines Verlegers, deshalb muss er Schadenersatz zahlen und wird wegen Betruges bestraft. (2) Der gute Ruf einer Person. Wer ehrenrührige unwahre Tatsachen verbreitet, muss dem Opfer Schmerzensgeld zahlen und wird bestraft. (3) Das Funktionieren der Behörden und Gerichte. Steuerschuldner oder Zeugen müssen die Wahrheit sagen. Die spannendste Frage ist: Warum darf man manchmal sogar dann lügen, wenn es eigentlich verboten sein müsste? Erlaubt ist etwa die Lüge einer Schwangeren, die im Vorstellungsgespräch die Frage „Sind Sie schwanger?“ verneint. Erlaubt ist auch, wenn man bei der Wohnungssuche auf die Frage nach der Religion „katholisch“ sagt, obwohl man Muslim ist. Warum ist hier das Lügen nicht verboten, obwohl es um rechtlich geschützte Güter geht? Die Lüge der Schwangeren berührt die Vermögensinteressen des Arbeitgebers. Sie darf aber trotzdem lügen, weil schon die Frage verboten war. Denn diese Frage verletzt ein höherrangiges Recht der Bewerberin, nämlich ihr Persönlichkeitsrecht. Zu dem – jedem Menschen zustehenden – Persönlichkeitsrecht gehört es, sehr persönliche Umstände für sich behalten zu dürfen. Dieses Freiheitsrecht schützt der Staat besonders stark. Verboten sind deshalb zum Beispiel auch Fragen zur Nationalität oder der sexuellen Orientierung. Fragen nach einer Gewerkschafts- oder Kirchenmitgliedschaft sind auch fast immer verboten, jedoch gibt es davon Ausnahmen, wenn der Arbeitgeber eine Gewerkschaft oder eine Kirche ist. Vermieter dürften aus denselben Gründen nicht nach der Religion fragen. Hier fehlt es schon an einem geschützten Informationsbedürfnis. In jedem Fall aber überwiegt der Schutz des Persönlichkeitsrechts, denn niemand muss offenbaren, welcher Religion er angehört – außer natürlich für Steuerzwecke. Bei dem vor Gericht lügenden Mörder liegt es etwas anders. Hier geht es um das Interesse, dass der Staat für seine Entscheidungen die Wahrheit erfährt. Und jetzt wird es interessant: Wenn der Angeklagte der Mörder ist, dann muss er nicht an seiner Überführung mitwirken, darf schweigen und auch lügen. Wird der Mörder aber auf Schadenersatz verklagt, etwa wegen der Kosten für die Reinigung des blutigen Teppichs, dann darf er zwar schweigen, aber nicht lügen, denn hier geht es auch um das Vermögen des Teppicheigentümers. Und was ist mit Lügen in der Wissenschaft? Dies ist ein eigenes Thema – vielleicht für nächstes Jahr!