Alarm im Hirn. Sind Frauen stressresistenter als Männer?
- 16.11.2018
- Ich möchte diese Frage in drei Schritten beantworten: Erstens: Was sind die Bestandteile einer Stressreaktion? Zweitens: Gibt es Geschlechtsunterschiede in akuten Stressreaktionen und reicht es, zwischen Männern und Frauen zu differenzieren? Drittens: Wie ist es bei langandauernden oder besonders traumatischen Stressoren? Was sind die Bestandteile einer Stress reaktion? Stress entsteht, wenn wir eine Störung unseres körperlichen und/oder psychischen Gleichgewichts erleben oder auch nur erwarten. Stressreaktionen sind vom Gehirn gesteuerte Anpassungsreaktionen, die das Gleichgewicht wiederherstellen. In einer ersten schnellen Phase kommt es zum Anstieg von Herzfrequenz, Blutdruck und von Botenstoffen im Gehirn, die Wachheit und Aufmerksamkeit fördern. In einer zweiten, verzögerten Phase steigt vor allem die Bildung des Hormons Cortisol, das unter anderem die Bereitstellung von Energiereserven sichert. Ein Merkmal der Widerstandsfähigkeit gegen Stress, der sogenannten Resilienz, ist die schnelle Auslösung und zugleich schnelle – vom Gehirn überwachte – Beendigung der Cortisolantwort. Gibt es Geschlechtsunterschiede in akuten Stressreaktionen? Im Labor wird die schnelle Stressreaktion durch extreme Kältereize oder mentale Anforderung und die verzögerte Cortisolreaktion durch soziale Stressoren (wie die Rede vor einem Publikum) erzeugt. In der schnellen Stressreaktion wurden selten Geschlechtsunterschiede gefunden, wenn dann als stärkere Blutdruckzunahme bei Männern und stärkere Herzratenanstiege bei Frauen. Was dagegen die Cortisolreaktion betrifft, wurden bei Männern stärkere Anstiege als bei Frauen gemessen. Spätestens hier wird aber eine Differenzierung fällig: Bei Frauen variiert die Stressreaktion über den Menstruationszyklus mit seinen natürlichen Schwankungen der Geschlechts hormone Östrogen und Progesteron und bei „Pillen“ Einnahme. So zeigen Frauen bei Verhütung durch die Pille, und damit Unterdrückung der natürlichen Geschlechtshormone, geringere Cortisolanstiege als Männer. Waren Frauen dagegen in der zweiten Hälfte ihres Zyklus − mit besonders hohem Progesteron, lag kein Geschlechtsunterschied vor. Die Stressreaktivität in dieser sogenannten lutealen Phase ist hoch und das Gedächtnis für negative Ereignisse gesteigert. Eher schützende Effekte hat das Hormon Östrogen, das aber nur in einem sehr schmalen Zeitfenster, nämlich um den Eisprung herum, seinen Höhepunkt hat. Laborstudien – auch unserer Arbeitsgruppe – zeigen, dass gesunde Frauen dann eine im Labor gelernte, sogenannte konditionierte Furcht nachhaltiger wieder verlernen, wenn sie hohe Östrogenspiegel haben und zuvor einem Stressor ausgesetzt waren. Wie ist es bei langandauernden oder besonders traumatischen Stressoren? Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) und auch Depression treten bei Frauen doppelt so häufig auf wie bei Männern. Gemeinsames Merkmal dieser stressbezogenen Erkrankungen ist eine langfristige Fehlregulation der neuronalen Stresssysteme und der stressbegrenzenden Rückkopplungen im Gehirn: Bei der Depression ist die Cortisolausschüttung chronisch erhöht, bei PTSD erniedrigt. Geschlechtsunterschiede in den Erkrankungshäufigkeiten treten ab der Pubertät auf und nehmen nach der Menopause ab. Dies legt auch hier Effekte der Geschlechtshormone nahe. Zusammenfassend: Frauen zeigen auf akute Stressoren nur phasenweise geringere Stressreaktionen als Männer. Eine Differenzierung nach Geschlechtshormonen erlaubt genauere Vorhersagen.