Im heutigen Hessen, einer historischen Transitregion und Gebiet vielfältiger Grenzen, Wege und Kontakte, hat sich ein reicher und außergewöhnlich qualitätsvoller Bestand mittelalterlicher Altarretabel an ihren originalen Standorten erhalten. In der kunstgeschichtlichen Forschung ist dieser Bestand bisher nur partiell Gegenstand intensiver Untersuchungen gewesen. Ein Großteil der etwa 170 erhaltenen Werke muss als nahezu unbekannt gelten. Beabsichtigt ist deshalb die grundlegende Erfassung sämtlicher mittelalterlicher Retabel in Hessen sowie deren Auswertung auf dem Stand der aktuellen kunstgeschichtlichen Diskussion. Nicht nur durch lokale kirchliche und weltliche Auftraggeber, sondern auch durch eine Vielzahl von äußeren Einflüssen geprägt, sollen die Werke hinsichtlich ihrer formalen und typenmäßigen Gestaltung, ihrer materiellen und künstlerischen Werkgenese, ihrer Nutzungsgeschichte, ihrer Kontextbeziehungen innerhalb eines Sakralraums sowie im Gefüge gesellschaftlicher Bedingungen analysiert werden. Angestrebt ist eine Untersuchung der Objekte hinsichtlich ihrer regionalen und überregionalen Vernetzung, wie es den unterschiedlichen jeweiligen Situationen der einzelnen Objekte und Standorte in dieser vielfältig sich wandelnden, vielteilig gegliederten Region entspricht. Die Objekte sollen fotografisch als Einzelobjekte wie auch in ihrer Umgebung erfasst und wissenschaftlich kommentiert werden. Die Ergebnisse sollen in Buchform als Katalog ebenso wie in Gestalt eines neu zu entwickelnden, vielseitig recherchierbaren Internet- Portals (Datenbank) publiziert werden. Damit werden die über eine größere Region verteilten Objekte in ihren vielfältigen Kontexten und in ihrem Zusammenhang in innovativer Weise erschlossen und dezentral zugänglich gemacht. Auf diese Weise kann das Arbeitsvorhaben auch eine Pilotfunktion für vergleichbare Untersuchungen in anderen Regionen übernehmen.
Projektlaufzeit
01.01.2014 - 31.03.2015
Verbund/Partnerorganisation
Städelsches Kunstinstitut und Städtische Galerie, Philipps-Universität Marburg
Ergebniszusammenfassung
Das Projekt zur Erforschung der mittelalterlichen Retabel im heutigen Bundesland Hessen legt am Ende seiner Förderzeit Ergebnisse zu knapp 260 Retabeln vor. Die einzelnen Werke wurden monographisch bearbeitet (Erfassung des Forschungsstandes, Zustandsbeschreibung nach Expedition und Erfassung vor Ort, Auswertung von Restaurierungsberichten, gemäldetechnologischer Untersuchung, fotografische Dokumentation). Die Ergebnisse zu den einzelnen Werken stehen online zur Verfügung (bildhafte Darstellung und Erschließung aller Objekte inkl. sämtlicher Materialien, http://www.bildindex.de, Stichwort „Mittelalterliche Retabel in Hessen“, sowie auf der elektronischen Publikationsplattform Art-Dok. der Universität Heidelberg http://archiv.ub.uniheidelberg.de/artdok/view/collections/c-6.html). Alle Objekte wurden kritisch überprüft. Zu vielen Retabeln konnten neue Erkenntnisse gewonnen werden, die sich in unser Bild von den Gestaltungskonventionen mittelalterlicher Retabel einfügen. Vielfach sind nun Zusammenhänge zwischen den Werken und ihren Auftraggebern genauer bestimmbar. Allerdings bleibt festzuhalten, dass oftmals fehlende Nachweise hinsichtlich der ursprünglichen liturgischen Zusammenhänge oder der Aufstellungsorte dazu führen, dass Fragen nach der Einordnung der Retabel in ihren Sakralraum und in größere historische Räume nicht oder nur mit großen Vorbehalten beantwortet werden können. Gegenwärtig können wir allenfalls Beziehungen zwischen einzelnen Orten, Werken, Künstlern und Stiftern benennen. Diese Relationen lassen jedoch keine ‚Kunstlandschaften‘ erkennen. Auch hat das Projekt keine Hinweise dafür gefunden, dass sich für das Untersuchungsgebiet kunstgeographisch kleinere Einheiten bestimmen lassen, die jenseits eines Bezugsrahmens zu definieren wären, der durch ein Zentrum (Frankfurt a. M. im Spätmittelalter) und seine Ausstrahlung in seine nähere Umgebung markiert wurde. Ältere und jüngere Forschungsprojekte verfolgen ähnliche Fragestellungen (Corpus der mittelalterlichen Holzskulpturen und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein (1200-1535); Die deutsche Tafelmalerei des Spätmittelalters. Kunsthistorische und Kunsttechnologische Erforschung der Gemälde im Germanischen Nationalmuseum; Der Bestand der mittelalterlichen Malerei im Hessischen Landesmuseum Darmstadt). Zu wünschen wäre, dass in näherer Zukunft die in diesen Projekten gewonnenen Erkenntnisse zusammengeführt und miteinander in Beziehung gebracht werden könnten. Fragen nach der Verortung der Retabel innerhalb religiöser und politischer Gebrauchszusammenhänge, die über den jeweiligen Ort der Werke hinausweisen, könnten dann genauer formuliert und, so unsere Hoffnung, besser beantwortet werden.